Mythos Feen und Elfen – gibt es sie wirklich?
Eine literarische Suche nach dem Ursprung der Sagengestalten in den alten Überlieferungen
aus dem Mittelalter
Autorin: Daniela Mattes
Auszug (Kap. 17):
Bergentrückung
Wir haben jetzt mehrfach von der Entführung Sterblicher
in die Welt der Feen gehört, die im Berg zu liegen scheint.
Um diese „Bergentrückung“ ranken sich auch relativ
moderne Legenden, die nicht so weit zurückreichen wie
die Geschichte von Tom dem Reimer.
Bekanntestes Motiv ist das bereist kurz angesprochene
Motiv des schlafenden Königs und Kaisers, der mit
seinem Gefolge im Berg ruht, bis er zur letzten Schlacht
erwacht. Diesem Thema soll nun das aktuelle Kapitel
gewidmet sein.
Entführungen in den Berg
Die Elfen/Feen entführen gerne die Sterblichen in die
Berge bzw. in die „Feenhügel“. Wenn die Sterb-lichen sich
dort länger aufhalten, kommen sie erst wieder heraus,
nachdem auf der Erde bzw. in der Realität viel Zeit
vergangen ist, manchmal Jahre.
Oft fallen sie dort oder vor der Entführung in einen
Zauberschlaf. Dieses Motiv ist nicht nur aus der Feenwelt
bekannt, sondern auch aus anderen Ländern bzw. aus
anderen Berichten.
Man nennt das Phänomen auch „Bergentrückung“. Bestes
Beispiel im deutschsprachigen Raum ist Kaiser Friedrich I.
Barbarossa oder auch Friedrich II. (Kyffhäuser) oder Karl
der Große, die sich je nach Sage alle im österreichischen
Untersberg befinden sollen. Dort wird auch von
seltsamen Erlebnissen der „verlorenen Zeit“ und ähnlich
spukigen Dingen berichtet.
Die Sagen weichen leicht voneinander ab, im Kern lauten
sie jedoch so, dass die Kaiser im Berg samt ihrem Gefolge
schlafen (sie sind nicht „tot“, sie wurden nur „entrückt“,
also wie Reverend Robert Kirk) und dann wieder
aufgeweckt werden, um über die Feinde zu siegen, das
Land zu befreien und dann über das Friedensreich zu
herrschen.
Teil des Kyffhäuserdenkmals (Thüringen, Harz) fotografiert und in die public domain freigegeben von Ijon Tichy |
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Die Sage vom schlafenden Kaiser im Berg
Im österreichischen Untersberg wartet Kaiser Karl der
Große auf seine Auferstehung. Alle hundert Jahre wacht
er einmal auf und prüft, ob noch die Raben um den Berg
kreisen. Wenn das der Fall ist, schläft er weitere hundert
Jahre.
Während dieses Tiefschlafes wird der Kaiser von den
„Untersberger Mandln“ versorgt. Dabei handelt es sich
um treue Gefolgsleute von zwergenhafter Gestalt – oder
eben in der Tat um Zwerge.
Sobald die Raben nicht mehr fliegen, kommt der Kaiser
aus dem Berg heraus um die letzte Schlacht zu schlagen.
Diese wird auf dem Walserfeld stattfinden.
(Von diesem Feld wird übrigens auch in einer ähnlichen
Sage berichtet, dass der Kurfürst von Bayern seinen
Wappenschild bei seiner letzten Schlacht an einen
vertrockneten Birnbaum auf dem Walserfeld hängen
wird).
In der anderen Variante der Sage liegt hier nicht Karl der
Große, sondern Kaiser Barbarossa, der an einem Tisch
sitzt, um den sein Bart mit der Zeit herum wächst. Bisher
hat der Bart schon zwei Tischumrundun-gen hinter sich.
Sobald er die dritte Umrundung geschafft hat, ist das
Ende der Welt gekommen.
Die ähnlichen Motive scheinen sich hier im Laufe der Zeit
vermischt zu haben, bzw. wurden in verschiedenen
Gegenden diese Kernpunkte in angepasster Weise
überliefert.
Das Motiv vom schlafenden Kaiser kommt häufig auch in
Dänemark und Skandinavien vor. Nur in der irischkeltischen
Sagenwelt gibt es statt Königen und Zwergen
die Feen.
Der schlafende Artus in Avalon
König Arthurs Tod, im Hintergrund die Barke
zur Überfahrt nach Avalon von James Archer (artist) (1823
– 1904)
Bei den Feen bzw. bei den Kelten mischt sich ein weiterer
Aspekt hinein – zum einen der Gedanke, dass die Toten in
der „Anderswelt“ im Berg weiterleben, also alle Toten,
nicht nur die Kaiser und zum anderen, dass jeder den
Zugang durch den Berg in die Anderswelt erhalten kann.
Sofern er kein Essen von den Feen annimmt, kann er ihre
Welt auch wieder verlassen.
Die Herrscher in der keltischen Sagenwelt, wie zum
Beispiel der berühmte König Artus, lebte nicht im Berg
weiter, er wurde von seiner Halbschwester auf die
Apfelinsel Avalon gebracht.
Die Sieben Schläfer von Ephesus
Kaiser Decius beauftragt das Zumauern der Höhle.
Aus einem Manuskript aus dem 14. Jahrhundert. Gemeinfrei
Eine weitere bekannte Geschichte ist die der Sieben
Schläfer von Ephesus, die sowohl im Christentum als auch
im Islam bekannt ist. Dabei handelt es sich allerdings
nicht um Könige, sondern verfolgte Christen. Es gibt verschiedene Varianten der Geschichte, die 500 n.
Chr. von Jacob von Sarug festgehalten wurde. Dabei geht
es um sieben junge Männer, die sich weigern, wie vom
Kaiser befohlen, heidnischen Göttern zu opfern. Sie
planen, sich im Berg zu verstecken. Als sie verfolgt
werden, finden sie in einer Höhle Unterschlupf und
verschlafen dank Gottes Hilfe 309 Jahre, wodurch sie
natürlich auch ihre Verfolger abschütteln.
Als der Kaiser sie nicht finden kann, um sie zu bestrafen,
lässt er ihre Väter foltern, die schließlich den
Aufenthaltsort verraten. Daher lässt der Kaiser die Höhle
zumauern, um sie bei lebendigem Leibe zu beerdigen.
Und schließlich kommen wir noch zu einer weiteren
Entführungsgeschichte, bei der allerdings niemand im
Berg schläft – es geht um die Geschichte vom
Rattenfänger von Hameln, die gleich den perfekten Über-gang zu weiteren Märchen bildet.
Der Rattenfänger von Hameln (oben: Wandrelief von von Heinrich Wefing)
Beim Rattenfänger geht es weder um die Toten, noch um
die Herrscher, sondern in dem bekannten Märchen
werden Kinder weggelockt – und wie wir wissen, ist es ein
beliebtes Hobby der Feen, die Kinder der Menschen zu
entführen.
In Verbindung mit der Pfeife, die der Rattenfänger spielt,
ist dabei auch der Aspekt der Feenmusik, die einen
Zauber über die Menschen werfen kann, mit
aufgenommen.
Der Sage nach spielte sich der Fall im Jahr 1284 in Hameln
ab, als ein wunderlich bunt gekleideter Mann in die Stadt
kam und sich anbot, gegen Geld die Ratten und Mäuse
aus der Stadt zu vertreiben, den die Stadt litt zu dem
Zeitpunkt unter einer großen Rattenplage.
Die Einwohner stimmten zu und er spielte eine Melodie
auf seiner Pfeife, woraufhin alle Ratten und Mäuse sich
um ihn versammelten und er ging ihnen Pfeife spielend
voraus an die Weser, wo sich die Tiere selbst ins Wasser
stürzten und ertranken.
Die Bürger waren froh, dass die Plage vorbei war, aber als
es ans Zahlen ging, wollten sie ihn doch lieber nicht
entlohnen und schickten ihn ohne Geld weg. Der
Rattenfänger war verständlicherweise wütend.
Am 26. Juni kam er nach Hameln zurück, aber nicht als
Rattenfänger, sondern als Jäger mit schreck-lichem
Äußeren und einem seltsamen roten Hut (rote Hüte
wurden auch den Kobolden in manchen Berichten
zugeschrieben).
Er holte seine Flöte heraus und spielte eine Melodie,
woraufhin alle Kinder ab einem Alter von vier Jahren
herbeikamen, die er genau wie die Ratten aus der Stadt
hinausführte. Doch er ertränkte sie nicht in der Weser,
sondern führte sie zum Osttor aus der Stadt hinaus und
geradewegs hinein in den Berg, wo er mit ihnen
verschwand.
Der Legende nach kehrten zwei Kinder zurück – eines
war blind und konnte nicht sagen, wo es gewesen war
und das andere war stumm, so dass es nichts erzählen
konnte.
Ein kleiner Junge war schon auf dem Weg umgekehrt, um
sich eine Jacke zu holen und war so zwar dem Unglück
entkommen, konnte aber auch keine sachdienlichen
Hinweise über den Verbleib der anderen Kinder abgeben.
Manche sagen, es hätte sich um 130 Kinder gehandelt, die
man nie wieder gesehen hat. Einige andere erzählen, die
Kinder seien in Siebenbürgen wieder aus der Höhle
heraus gekommen.
(nach: Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Nr. 245, Die Kinder
zu Hameln)
Obwohl wir hier Obwohl wir hier Ansatzpunkte für einen Zusammenhang
mit Feen und dem Zauber der Musik sowie der seltsamen
Kleidung des Mannes und sogar der Gestaltwandlung
vorliegen haben, wird die Geschichte interessanterweise
nicht mit den Feen und Elfen in Zusammenhang
gebracht.
Märchenforscher haben verschiedene andere Thesen
ausgearbeitet, die den Kern der Geschichte enthüllen
sollen.
Zum Beispiel sollen sich zwei unterschiedliche Sagen hier
vermischt haben. In den Büchern der Stadt gibt es keine
Aufzeichnungen über die Bezahlung eines Rattenfängers.
Aber da man ihm das Geld auch nicht gegeben hat, kann
dies nicht als Argument gelten. Warum sollte eine nicht
geflossene Summe in den Büchern vermerkt worden sein?
Bemängelt wurde auch, dass Ratten nicht auf Flöten
reagieren. Sicherlich nicht, sonst könnte man sich heute
auch mit einer Flöte hinsetzen, wenn man eine Maus im
Haus hat. Aber wenn es sich um eine Zauberflöte der
Feen handelt, sieht die Sache doch ganz anders aus, oder?
Die zweite Sage betrifft angeblich den Auszug der Kinder
aus der Stadt, der sich im 16. Jahrhundert abgespielt
haben könnte. Dabei soll es sich aber bei den „Kindern
der Stadt“ nicht um wirkliche Kinder gehandelt haben,
sondern um Bürger, die aufgrund der schwierigen
Wirtschaftslage ausgewandert sind (Ostkolonisation).
Dieser Vermutung entgegnen Skeptiker jedoch, dass
Auswanderer für gewöhnlich in ihren neuen
Niederlassungen Namen der alten Heimat vergeben und
es gibt keine Städte in der genannten Richtung
(Siebenbürgen), die einen Hinweis auf die ehemalige
Stadt Hameln geben.
Die Idee des Wegzugs wird damit begründet, dass die
Stadt sich über die große Wegzugsrate schämte und
stattdessen diese Geschichte erfand … nun ja … vielleicht
wäre es in der damaligen Zeit auch einfach angemessener
und glaubhafter gewesen, wenn man auf eine Entführung
durch Feen plädiert hätte.
Wie wir gesehen haben, wurden solche Informationen ohne große Rückfragen akzeptiert, da dies zum Alltag gehörte.
Bildquellen:
Abb. 19: Teil des Kyffhäuserdenkmals (Thüringen, Harz)
fotografiert und in die public domain freigegeben von Ijon
Tichy
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Monument_barbarossa.jpg
Abb. 20: Friedrich Barbarossa im Untersberg, Stich aus dem
19. Jahrhundert von Karl Girardet (1813-1871)
https://de.wikipedia.org/wiki/Untersberg#/media/File:Barberousse.Untersberg-XIXe_si%C3%A8cle-14.jpg
Abb. 21: König Arthurs Tod, im Hintergrund die Barke zur
Überfahrt nach Avalon von James Archer (artist) (1823 –
1904)
https://de.wikipedia.org/wiki/Avalon_(Mythologie)#/media/File:The_Death_of_King_Arthur.jpg
Abb. 22: Kaiser Decius beauftragt das Zumauern der Höhle.
Aus einem Manuskript aus dem 14. Jahrhundert. Gemeinfrei
https://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Schl%C3%A4fer_von
_Ephesus#/media/File:7sleepersmedievalmanuscript.jpg
Abb. 23: Rattenfängerdarstellung als Schalmeipfeifer; Kopie
einer Glasmalerei in der Marktkirche Hameln
(Reisechronik des Augustin von Moersperg 1592, Aquarell)
https://de.wikipedia.org/wiki/Rattenf%C3%A4nger_von_Hameln#/media/File:Pied_piper.jpg